Gockels radikale *Wallenstein*-Neuinszenierung verbindet Schiller mit Prigoschins Kriegswelt

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Eine Konferenzbühne mit sitzenden Personen an einem Tisch mit Papieren und Gegenständen, flankiert von Fahnen und einer Skulptur im Hintergrund, mit Zuschauern an Tischen und hinter einer Absperrung mit Bildschirmen, unter dekorativen Deckenleuchten.

Gockels radikale *Wallenstein*-Neuinszenierung verbindet Schiller mit Prigoschins Kriegswelt

Jan-Christoph Gockels kühne Neuinszenierung von Schillers Wallenstein feiert Premiere

Unter der Regie von Jan-Christoph Gockel erlebte Schillers Wallenstein eine mutige Neuinterpretation, die Theater, Forschung und eindrucksvolle visuelle Elemente vereint – von einer Liebesgeschichte über eine Kriegsvorlesung bis hin zu einer mechanischen Marionette, gesteuert vom seit einem Unfall im Jahr 2010 gelähmten Schauspieler Samuel Koch.

Den Auftakt bildete ein Vortragsperformance des Forschers Sergei Okunev, der das Leben des Kriegsunternehmers Jewgeni Prigoschin durch die Brille der Wagner-Gruppe analysierte.

Gockels Team ging radikal mit Schillers Klassiker um: Der Originaltext wurde stark gekürzt, um Prologe, Epiloge und neue Szenen einzufügen. Eine zentrale Handlungsebene bildete die Liebesgeschichte zwischen Wallensteins Tochter und dem jungen Max Piccolomini.

Die Bühne verwandelte sich in eine funktionierende Küche, in der die Schauspieler an einer langen Theke kochten. Dieses „Küchenteam“ verwandelte sich im Verlauf in Bauern und später in Wallensteins Soldaten – dargestellt von Schauspielerinnen mit rasierten Köpfen und aufgesetzten Bärten. Der Effekt schuf eine fließende, sich ständig wandelnde Szene, wie sie bisher noch nicht zu sehen war.

Ein prägnanter Moment entstand, als Okunev mit dem Harry-Potter-Zauber „Ridikulus“ Angst in Humor verwandelte. Zudem kam ein technisches Hilfsmittel zum Einsatz, das es dem gelähmten Koch für kurze Zeit ermöglichte, seine Arme zu bewegen und als lebendige Marionette zwei große Schritte zu gehen.

Die Aufführung verband Prigoschins moderne Kriegsführung mit Wallensteins historischen Schlachten. Inspiriert war die Inszenierung von Heiner Müllers ursprünglichem Konzept, insbesondere in der Art, wie das Publikum durch Okunevs Forschungsvorträge einbezogen wurde.

Das Ergebnis war ein vielschichtiges, zum Nachdenken anregendes Erlebnis. Beim „Schmaus der Schlacht in sieben Gängen“ prallten Wallensteins und Prigoschins Geschichten aufeinander, während die körperlichen Verwandlungen des Ensembles die Zuschauer in den Bann zogen.

Die Produktion verschmolz Geschichte, Technologie und Performance auf unerwartete Weise. Kochs kurze Bewegungen als Marionette und die wandelbaren Rollen der Schauspieler hinterließen einen bleibenden Eindruck.

Mit seinen radikalen Kürzungen und Ergänzungen definierte Gockel Wallenstein für ein zeitgenössisches Publikum neu – und verband die Kriege des 17. Jahrhunderts mit modernen Konflikten durch Prigoschins Geschichte.